Reform der Justiz – Änderungen bei Zivilverfahren

Die Dauerkrise in Spanien hinterlässt ihre Spuren auch im Bereich der Justizverwaltung, die in einem Land mit einer per se hohen Anzahl von Rechtsstreitigkeiten in Anbetracht der stetig ansteigenden Zahl von Gerichtsverfahren zunehmend überfordert ist. Mit dem Gesetz 37/2011 vom 10. Oktober 2011 soll dieser Entwicklung entgegensteuert werden. Die Reform betrifft das Straf-, Verwaltungs- und Zivilverfahren. Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind die wichtigsten Änderungen im Bereich des spanischen Zivilverfahrens. 

Nach der Reform wird der Anwendungsbereich des gerichtlichen Mahnverfahren (proceso monitorio) – bereits jetzt die bevorzugte Form der gerichtlichen Verfahrenseinleitung bei Zahlungsrückständen –  ausgeweitet und in Anlehnung an das Europäische Mahnverfahren nicht mehr der Höhe nach beschränkt (bislang geltendes Limit der Forderungshöhe: € 250.000,00). Bei Forderungen unter € 3.000,00 entfällt zudem die Zahlung von Gerichtsgebühren; bei höheren Streitwerten werden diese bei Mahnverfahren herabgesetzt.

Als längst überfällige Regelung werden Gerichtsgebühren darüber hinaus zukünftig bei der Kostenfestsetzung in allen Zivilverfahren unabhängig von der Form ihrer Einleitung als erstattungsfähige Prozesskosten anerkannt.

Bei Räumungsklagen wegen Zahlungsrückständen wird die Systematik des gerichtlichen Mahnverfahrens übertragen. Im Endergebnis bedeutet dies, dass der Schuldner nur noch eine einzige gerichtliche Aufforderung erhalten wird, wonach er innerhalb von 10 Tagen entweder die Immobilie zu räumen, alle Zahlungsrückstände auszugleichen oder gegen die Räumung Widerspruch einzulegen hat. Wird der Aufforderung keine Folge geleistet, erfolgt ohne weiteren Verhandlungstermin die sofortige Räumung zu dem bereits in der gerichtlichen Aufforderung angeordneten Räumungstermin. Ein ordentlicher gerichtlicher Verhandlungstermin ist damit zukünftig nur noch bei einem ausdrücklichen Widerspruch gegen die Räumung vorgesehen.

Zur Entlastung der Rechtsmittelinstanzen bei Zivilverfahren wird das Rechtsmittel der Berufung bei mündlichen Verfahren (juicio verbal) künftig nur noch ab einem Gegenstandswert von € 3.000,00 zulässig sein und das Rechtsmittel der Kassation bei Verfahren mit einem Gegenstandswert unter € 600.000,00 nur noch bei grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Gleichzeitig wird das Rechtsmittelverfahren bei seiner Vorbereitung vereinfacht und die Zahlung der Gerichtsgebühren flexibler gestaltet.

Im Bereich der Zwangsvollstreckung verdient besondere Erwähnung die praktische Verkürzung der ‚Wartezeit‘ vor Einleitung der Vollstreckung gegen den Schuldner. Die Wartefrist von 20 Tagen wird zwar beibehalten; künftig aber ab Rechtskraft des Urteils bzw. des Schiedsspruchs und nicht mehr ab Zustellung der Entscheidung an den Schuldner gerechnet, was oftmals zu Verzögerungen führte. Des Weiteren werden Drittwiderspruchsklagen  – gemeint sind Einwände eines Dritten gegen die Vollstreckung – zukünftig im mündlichen Verfahren (juicio verbal) statt wie bislang im aufwendigeren ordentlichen Verfahren (juicio ordinario) verhandelt.

Eine der erstaunlichsten Änderungen im Bereich der Zwangsvollstreckung findet sich etwas versteckt in der zukünftigen Zusatzbestimmung 6 zur spanischen Zivilprozessordnung: Nicht einmal drei Monate nach Inkrafttreten der Erleichterungen für Hypothekenschuldner mit dem Königlichen Gesetzesdekret 8/2011 vom 01. Juli 2011 rudert der Gesetzgeber zurück und hebt diese teilweise wieder auf. War das Ziel des Königlichen Gesetzesdekretes 8/2011 noch, bei Zwangsversteigerungen generell zu verhindern, dass der Hypothekengläubiger – in aller Regel eine Bank oder Sparkasse – die Immobilie zu einem Wert von weniger als 60% selbst übernehmen kann, wird nun zwischen dem gewöhnlichen Wohnsitz des Schuldners und sonstigen Immobilien unterschieden. Nur bei der ersteren Kategorie – dem gewöhnlichen Wohnsitz – wird auch zukünftig eine Übernahme zugunsten der Bank zu mindestens 60% des Ausgangswerts der Versteigerung garantiert. Bei allen anderen Immobilien – der mit Abstand grösste Teil der Zwangsversteigerungen – wird wieder zum status quo zurückgekehrt und eine Übernahme der Immobilie durch den Hypothekengläubigers auch zu 50% des Wertes oder weniger möglich sein.

Im Bereich des Familienrechts bevorzugt die Reform bei Rechtsstreitigkeiten zukünftig die Erledigung konkreter Klagen bestimmter schutzbedürftigen Personen (Minderjährige, Entmündigte, Abwesende). Im Übrigen wird unter bestimmten Voraussetzungen der Anwendungsbereich des mündlichen Verfahrens (juicio verbal) auf Mietverträge beweglicher Sachen erweitert; die Pflichten des Prokurators – eines zusätzlichen Prozessvertreters, der in Deutschland unbekannt ist – näher normiert und einzelne Aspekte des vorläufigen Rechtsschutzes geklärt.

Die Änderungen, die in Anbetracht der vorgezogenen Wahlen zum spanischen Kongress in letzter Minute verabschiedet wurde, bleiben in einer Gesamtschau weit hinter ihrem Anspruch einer grundlegenden Justizreform zurück. Das Reformgesetz beschränkt sich auf Teilaspekte; Fragen der Organisation der Justiz werden komplett ausgeklammert. Gänzlich unverständlich ist das Hin und Her bei der Ausgestaltung der Zwangsversteigerungen und die teilweise Rücknahme der Erleichterungen für Hypothekenschuldner, die schon mit dem Gesetzesdekret 8/2011 nicht weit genug gingen. Die Gleichschaltung der Räumungsklage bei Zahlungsrückständen mit dem Mahnverfahren dürfte sich am Rande des rechtstaatlich Zulässigen bewegen. Ohne Zweifel berichtigt die Reform aber einige offensichtliche Fehlentwicklungen der Vergangenheit, was zu begrüssen ist. Dies gilt insbesondere für die Erweiterung des Anwendungsbereichs des gerichtlichen Mahnverfahrens und Abschaffung des Höchstlimits der Forderungshöhe sowie die Anerkennung der Erstattungsfähigkeit von Gerichtskosten.

Die Reform wird zum 31. Oktober 2011 in Kraft treten und gilt für alle Zivilverfahren, die ab diesem Zeitpunkt eingeleitet werden.

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