Coronavirus: ERTE und die Beibehaltung der Beschäftigung 2.0

Coronavirus: ERTE und die Beibehaltung der Beschäftigung 2.0Wenige Regelungen haben in Zeiten des Coronavirus soviel Kritik erfahren wie die Verpflichtung der Unternehmen zur Beibehaltung der Beschäftigung bei Beantragung eines ERTE. Nun wurde der Kompromiss von Politik, Gewerkschaften und Arbeitgebern am Verhandlungstisch in Gesetzesform gegossen. Mit dem Königlichen Gesetzes-Dekret 18/2020 vom 12. Mai 2020 wird die Verpflichtung neu gefasst.

Was ist ein ERTE?

Die Abkürzung steht für Expediente de Regulación Temporal de Empleo, einem Verfahren zur vorübergehenden Regulierung der Beschäftigung bei  Arbeitsausfall. In der deutschen Terminologie ist dies als Kurzarbeit bekannt.

Was hat es mit der Beibehaltung der Beschäftigung auf sich?

Mit dem Königlichen Gesetzes-Dekret 8/2020 vom 17. März, einer Art Notstandsverordnung, erkannte die spanische Regierung die Coronavirus Krise in bestimmten Fällen als Grund höherer Gewalt an und verabschiedete eine Reihe von Sonderregelungen zur Kurzarbeit. Ergänzend wurde vorgesehen, dass alle arbeitsrechtlichen Ausnahmeregelungen dieser Notstandsverordnung an die Verpflichtung des Unternehmens geknüpft sind, die Beschäftigung auf die Dauer von sechs Monaten ab dem Tage der Wiederaufnahme der Tätigkeit beizubehalten.

Warum war diese Verpflichtung umstritten?

Auf Arbeitgeberseite stiess diese Verpflichtung auf nicht wenig Kritik. Die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus Krise waren und sind nicht absehbar. Zudem liess die Regelung praktisch alle wichtigen Fragen offen. Die Regierung lieferte zwar in einer der nachfolgenden Notstandsverordnungen, dem Königlichen Gesetzes-Dekret 11/2020 vom 31. März einige Erläuterungen. Diese fanden sich aber in wichtigen Teilen nur in der Gesetzesbegründung. Auch die Stellungnahme der Generaldirektion für Arbeit (Dirección General de Trabajo) auf die Anfrage des spanischen Unternehmerverbands CEOE vom 07. April 2020 war unverbindlich. Sicher war damit letztlich nur, dass die Verpflichtung zur Beibehaltung der Beschäftigung jedenfalls dann galt, wenn das Unternehmen Kurzarbeit wegen höherer Gewalt anmeldete und die Freistellung von den Sozialversicherungsbeiträgen beantragte. Alles andere blieb nebulös. Auf die offenen Fragen wurde bereits in dem Beitrag Coronavirus: ERTE und die Beibehaltung der Beschäftigung eingegangen.

Wie kam die Änderung zustande?

Nach einem ersten Schlagabtausch und langwiedrigen Verhandlungen konnte nun eine Einigung zwischen Regierung, den wichtigen Gewerkschaften CC.OO und UGT sowie den Arbeitgebervereinigungen CEOE und für die kleinen und mittleren Unternehmen Cepyme erzielt werden.

Was wird geändert?

Die Verpflichtung zur Wahrung der Beschäftigung wird beibehalten, aber flexibilisiert. Neben der Klärung zahlreicher Einzelaspekte wird geregelt, für wenn diese Verpflichtung überhaupt gilt; wie die Verpflichtung zu erfüllen ist; wann Arbeitsverhältnisse beendet werden können und welche Folgen die Nichterfüllung der Verpflichtung nach sich zieht. Vieles geht dabei in die Richtung, wie sie bereits in der Begründung der Notstandsverordnung 11/2020 bzw. der Stellungnahme der Generaldirektion für Arbeit (Dirección General de Trabajo) vom 07. April 2020 erkennbar war.

Welche Unternehmen müssen die Beschäftigung beibehalten?

Es wurde klargestellt, dass die Verpflichtung nur für jene Unternehmen gilt, die einen ERTE wegen höherer Gewalt beantragen. Damit gilt diese nicht für Unternehmen, die Kurzarbeit aus wirtschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen oder produktiven Gründen beantragen müssen. Interessant ist, dass die Verpflichtung an die Beantragung wegen höherer Gewalt geknüpft wird und zwar unabhängig von der damit verbundenen möglichen Freistellung des Unternehmens von den Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung.

Ab wann wird die Frist zur Beibehaltung gerechnet?

Die Frist zur Beibehaltung der Beschäftigung beläuft sich auf sechs Monate ab der Wiederaufnahme der Beschäftigung. Klargestellt wird, dass damit die Wiedereingliederung der von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer zu verstehen ist und zwar selbst dann, wenn diese teilweise erfolgt oder nur einen Teil der Belegschaft betrifft. Praktisch führt dies dazu, dass der Fristbeginn vorgezogen und die Dauer verkürzt wird.

Wann gilt die Verpflichtung als nicht erfüllt?

Grundsätzlich gilt, dass die Verpflichtung nicht erfüllt ist, wenn das Arbeitsverhältnis mit einem von der Kurzarbeit erfassten Arbeitnehmer während der genannten sechs Monate gekündigt oder beendet wird. Damit ist klar, dass sich die Beibehaltung der Beschäftigung nicht auf Arbeitnehmer bezieht, die von der Kurzarbeit nicht betroffen sind.

Coronavirus: ERTE und die Beibehaltung der Beschäftigung 2.0Gilt die Verpflichtung für alle Beendigungen?

Es sind eine Reihe von Ausnahmen vorgesehen. Beispielsweise sind ausserordentliche Kündigungen ausgenommen, sofern diese nach den allgemeinen Regeln zulässig sind. Weiter wird die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer oder infolge von Tod, Ruhestand, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und der Unterbrechung von unbefristeten unstetigen Arbeitsverträge (so genannte contratos fijo-discontinuos) nicht in die Wahrung der Beschäftigung einberechnet. Gleiches gilt für Zeitarbeitsverträge, die infolge Zeitablauf oder der Erbringung des vereinbarten Werks oder Dienstleistung enden oder deren vertragsgegenständliche Tätigkeit nicht unmittelbar ausgeführt werden kann. Zudem findet die Verpflichtung keine Anwendung auf Unternehmen, die Gefahr einer Insolvenz laufen. Ausserdem sind bei der Beurteilung die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und insbesondere die Eigenheiten der jeweiligen Branche sowie die Veränderlichkeit und Saisonbedingtheit der Beschäftigung.

Mit welchen Folgen ist bei einem Verstoss zu rechnen?

Insoweit wird klargestellt, dass das Unternehmen bei einem Verstoss die ersparten Beitragszahlungen zur Sozialversicherung nebst Aufschlägen und Verzugszinsen zurückzuerstatten muss. Nicht erwähnt ist, was mit dem an die Arbeitnehmer ausgezahlten Kurzarbeitergeld geschieht. Nach dem Wortlaut beschränkt sich die Erstattung auf die erlassenen Sozialversicherungsbeiträge. Nicht geregelt wurde weiter, wie sich der Verstoss auf die Kündigung oder Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses auswirkt, also ob diese (nur) als unzulässig oder als nichtig anzusehen ist. Dies wirkt sich entscheidend auf die Frage der Wiedereinstellung aus. Beide Fragen dürften die Gerichte noch beschäftigen, denn was passiert, wenn das Unternehmen einen ERTE wegen höherer Gewalt beantragt, aber die Freistellung von den Sozialversicherungsbeiträgen nicht in Anspruch nimmt und später Kündigungen vornimmt? Nach dem Wortlaut bliebe der Verstoss gegen das Gebot der Beschäftigung praktisch sanktionslos, denn in diesem Fall ist nichts zurückzuerstatten. Es ist kaum zu erwarten, dass dies die Linie der Gerichte sein wird.

In einer Gesamtschau beantwortet damit die Neufassung nicht alle Fragen; geht aber in die richtige Richtung. Auf der anderen Seite muss man sich fragen, ob das die ganzen Diskussionen wert war. Die Neufassung kommt spät. Die meisten betroffenen Unternehmen haben bereits einen ERTE beantragt. Zudem wird die Wahrung der Beschäftigung durch zahlreiche Ausnahmen ausgehöhlt. Geblieben ist eine Worthülse, die nicht mehr verspricht, als die Gerichte sowieso gegeben hätten.

Ausserdem fragt sich, ob die Neufassung auch für die bereits eingeleiteten ERTE gilt. Übergangsbestimmungen sind nicht vorgesehen. Und wenn man sich den Vergleich der beiden Fassungen anschaut, drängt sich geradezu die Frage auf, ob die ursprüngliche Fassung dem Bestimmtheitsgebot genügte, also verfassungsrechtlich zulässig war. Danach muss dem Einzelnen anhand des Gesetzestextes voraussehbar sein, was rechtens ist. Der Debatte, ob damit die Beibehaltung der Beschäftigung für die bereits geltenden ERTE gilt und wenn ja, in welcher Form, ist damit Tür und Tor geöffnet.

© 2020 Andreas Fuss Advocat & Rechtsanwalt

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Ergänzende Informationen und Links

Vergleich der Fassung der 6. Zusatzbestimmung zum Königlichen Gesetz-Dekret 8/2020 vom 17. März vorher und nachher

Königliches Gesetzes-Dekret 18/2020 vom 12. Mai 2020 zu sozialen Massnahmen zur Verteidigung der Beschäftigung


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