Modell 720: Sanktionen sind europarechtswidrig Der Europäische Gerichtshof fällt historisches Urteil gegen Spanien

Modell 720 - Sanktionen sind europarechtswidrigDer Gigant ist gefallen. Der Europäische Gerichtshof erklärt in einem historischen Urteil (Rechtssache C-788/19) die Rechtsfolgen des Modell 720 für europarechtswidrig.

Was ist das Modell 720?

Das Modell 720 ist eine Informationserklärung. Danach haben in Spanien Ansässige dem spanischen Fiskus bestimmte im Ausland befindliche Vermögenswerte zu melden. Dazu gehören Auslandskonten, Wertpapiere, bestimmte Versicherungen, Leibrenten, Immobilien und Rechte an solchen. Im Baskenland sind zudem Edelmetalle, Kunstgegenstände, Kraftfahrzeuge, Yachten und andere bewegliche oder registrierte Vermögensgegenstände zu melden. Die Meldung ist einmal jährlich bis Ende März zu prüfen.

Warum wurde das Modell 720 eingeführt?

Die Erklärung ergänzte im Jahr 2012 die damalige Steueramnestie. Bildlich gesprochen war sie der Prügel, der die Steuerpflichtigen in die Amnestie trieb. Die Amnestie wurde später vom spanischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt; das Modell 720 blieb.

Warum ist diese Erklärung so umstritten?

Über das Modell 720 ließe sich viel sagen. Die Erklärung wirkt schlicht; in Wirklichkeit ist sie komplex und aufwendig. Das eigentliche Problem sind aber die harten Sanktionen, falls gegen die Meldepflicht verstoßen wird.

Welche Folgen hat ein Verstoß?

Bei einem Verstoß gegen die Meldepflicht sieht das Gesetz verschiedene Rechtsfolgen vor.
Der Verstoß wird zunächst mit einer pauschalen Geldbuße von € 5.000 für jeden Datensatz, der nicht, nicht vollständig oder fehlerhaft gemeldet wird, aber mindestens mit einer Geldbusse von € 10.000 pro Vermögenskategorie geahndet.

Beispiel: Ein Konto im Ausland mit einem Saldo von € 100.000 wird nicht gemeldet. Da bei einem Konto fünf Pflichtdaten zu melden sind, beläuft sich die Geldbusse alleine infolge der Nichtmeldung auf € 25.000,00.

Gravierender ist allerdings, dass die nicht gemeldeten Werte zudem steuerlich als nicht gerechtfertigter Vermögenszuwachs (ganancia patrimonial no justificada) behandelt werden, also als Einkünfte. Diese werden der letzten nicht verjährten Einkommenssteuererklärung hinzugefügt und nachversteuert, was praktisch auf eine Unverjährbarkeit der Nachforderung hinausläuft. Danach ist es sogar möglich, eine eigentlich bereits eingetretene Verjährung wieder zu verlieren.

Beispiel: Um bei dem vorhergehenden Beispiel zu bleiben, werden die € 100.000 infolge der Nichtmeldung als Einkünfte behandelt, die praktisch unverjährbar nachversteuert werden können. Das gilt sogar dann, wenn für das Steuerjahr, aus dem die vermeintlichen Einkünfte stammen, eigentlich bereits die Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass es sich um versteuerte Gelder handelte oder diese aus einer Zeit stammen, in der er nicht in Spanien einkommenssteuerpflichtig war. Das klingt einfach; ist in der Praxis aber oft sehr schwierig.

Und als ob dies nicht genug wäre, wird außerdem auf die Nachforderung eine proportionale Geldbusse von 150 Prozent fällig.

Und das sind nur die steuerlichen Folgen, denn die Zuwiderhandlung kann auch strafrechtliche Folgen nach ziehen. Ein fatale Kombination.

Kann nicht nachgemeldet werden?

Nach der gesetzlichen Regelung ist eine freiwillige Nachmeldung möglich. In diesem Fall wird die pauschale Geldbuße auf € 100 pro Datensatz, aber mindestens € 1.500 pro Vermögenskategorie verringert.

Beispiel: Bei dem genannten Beispiel kann man daher auf diese Weise die pauschale Geldbuße von € 25.000 auf € 1.500 reduzieren.

Dies klingt verlockend. Problematisch ist allerdings, dass auch bei einer freiwilligen Nacherklärung alle restlichen Folgen, also die Nachversteuerung, die Unverjährbarkeit und proportionale Geldbuße von 150 Prozent grundsätzlich weiter gelten. Nach Auffassung des spanischen Fiskus soll zwar bei einer einer freiwilligen Nachversteuerung die Geldbuße von 150 Prozent entfallen; gesetzlich verankert ist dies aber nicht. Dies ist im Gegenteil sehr einzelfallabhängig.

Die Rechtsfolgen eines Verstoßes ergeben daher einen gefährlichen Cocktail und übersteigen schnell den Wert des meldepflichtigen Vermögensgegenstands. Dabei ist der Weg zurück in die Legalität dornig und muss gut geplant werden. Andernfalls kann dies im schlimmsten Fall auf den steuerlichen Selbstmord hinauslaufen. Und das nur, weil eine Information nicht mitgeteilt wurde.

Was ist bislang geschehen?

Das Modell 720 und seine Rechtsfolgen stießen von Anfang auf enorme Kritik. Im Oktober 2015 wurde die Europäische Kommission tätig und mahnte Spanien an. Nachdem Spanien keine Abhilfe leistete, leitete die Kommission im Februar 2016 ein formelles Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien ein, das im Oktober 2019 in die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof mündete (Rechtssache C-788/19).

Was sagt der Europäische Gerichtshof?

Der Europäische Gerichtshof sieht in den Folgen des Modells 720 eine unzulässige Beschränkung des Kapitalverkehrsfreiheit. Dabei geht er über die Anträge des Generalanwalts hinaus, die im Juli 2021 noch für Ernüchterung sorgten.

Der Europäische Gerichtshof kritisiert dabei nicht das Modell 720 an sich. Es sei ein legitimes Interesse Spaniens zur Kontrolle Informationen zum im Ausland vorhandenen Vermögen einzuholen. Die zentrale Frage dreht sich daher vielmehr um die Verhältnismäßigkeit der einzelnen Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen die Meldepflicht.

Deren Grenzen sieht der Europäische Gerichtshof bei den pauschalen Geldbussen für überschritten an, weshalb er diese für europarechtswidrig erachtet. Nach der aktuellen Regelung sind diese bis zu 66 Mal höher als bei vergleichbaren Informationspflichten im Inland. Dies gehe deutlich über das notwendige Maß hinaus.

Der Europäische Gerichtshof beanstandet dagegen nicht die gesetzliche Vermutung, dass es sich bei den nicht oder fehlerhaft gemeldeten Vermögensgegenständen steuerlich um nicht gerechtfertigte Vermögenszuwächse (ganancias patrimoniales no justificadas) handelt, also um Einkünfte, die nachversteuert werden können. Unverhältnismäßig und daher europarechtswidrig sei aber, dass der Verstoß praktisch auf eine Unverjährbarkeit der Nachversteuerung hinauslaufe und es sogar möglich sei, eine bereits eingetretene Verjährung wieder zu verlieren.

Zudem sieht der Europäische Gerichts die proportionale Geldbuße von 150 Prozent auf die steuerliche Nachforderung als unverhältnismäßig an. Die Höhe gehe deutlich über vergleichbare Geldbußen bei reinen Inlandssachverhalten hinaus und erlaube entgegen den Ausführungen Spaniens auch keine Graduierung. Im Zusammenspiel mit den pauschalen Geldbußen hätte diese daher einen extrem repressiven Charakter.

Im Gegensatz zu dem Generalanwalt unterscheidet der Europäische Gerichtshof bei seiner Entscheidung auch nicht etwa zwischen den einzelnen meldepflichtigen Vermögenskategorien. Er stellt die Europarechtswidrigkeit für alle Vermögensgegenstände gleichermaßen fest.

Was bedeutet dies für die Zukunft des Modells 720?

Der Europäische Gerichtshof hat nicht das Modell 720 für europarechtswidrig erklärt, sondern dessen Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen die Meldepflicht. Die Erklärung wird es also auch weiterhin geben. Die spanische Regierung muss aber nun das Modell 720 reformieren, was die spanische Finanzministerin auch bereits angekündigt hat. Die Reform ist kurzfristig zu erwarten, da der nächste Abgabetermin Ende März diesen Jahres ansteht.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist ein Sieg der Vernunft, aber auch der Ausdauer. Die Entscheidung ließ knapp ein Jahrzehnt auf sich warten, wobei Spanien jederzeit hätte einlenken können. Mit dem Urteil können nun aber zahlreiche Steuerpflichtige aufatmen. Zudem zeigt das Urteil wie wichtig der Europäische Gerichtshof ist. Immer öfter ist er es, der den spanischen Gesetzgeber in die Schranken weist. Nun bleibt abzuwarten, was Spanien aus diesem Urteil machen wird.

© 2022 Andreas Fuss Advocat & Rechtsanwalt

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