Coronavirus: Massnahmen zur Gewerbemiete

Corona Virus: Massnahmen zur GewerbemieteViele Unternehmen und Selbständige sind in Spanien unmittelbar von der Anordnung des Alarmzustands und der Schliessung der Betriebe wegen der Corona Virus Krise betroffen. Andere mussten zwar nicht schliessen, haben aber erhebliche Umsatzeinbussen. Viele können daher die Gewerbemiete oder -pacht nicht bezahlen. Mit dem Königlichen Gesetzes-Dekret 15/2020 vom 21. April wurde eine Reihe von Massnahmen verabschiedet. Diese kommen spät und haben ganz das Zeug dazu, alles nur noch schwieriger zu machen.

Um welche Miet- und Pachtverträge geht es?

Die Massnahmen betreffen andere Mietverträge als Wohnraumietverträge, also insbesondere die Gewerbemiete und die Unternehmenspacht, welche die Nutzung eines Geschäftslokals einschliesst (arrendamiento de industria).

An wen richten sich die Massnahmen?

Die Massnahmen richten sich an Selbständige sowie an kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Als solche sind Unternehmen zu verstehen, die während zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren zumindest zwei der drei nachfolgenden Kriterien erfüllen: Der Gesamtbetrag des Anlagevermögens ist nicht höher als 4 Millionen Euro; der jährliche Netto-Umsatz nicht höher als 8 Millionen Euro und die durchschnittliche Beschäftigung im Geschäftsjahr nicht höher als 50 Beschäftigte.

Welche Voraussetzungen müssen die Begünstigten erfüllen?

Die Tätigkeit muss infolge des Alarmzustands oder aufgrund behördlicher Anordnung eingestellt worden sein. Wurde der Betrieb nicht eingestellt, gelten die Massnahmen auch bei erheblichen Umsatzeinbussen. Diese müssen sich im Monat vor der Beantragung auf mindestens 75 Prozent der durchschnittlichen monatlichen Fakturierung des Kalenderquartals des Vorjahres belaufen haben.

Wie sind die Voraussetzungen nachzuweisen?

Die Einstellung der Tätigkeit ist mit einer Bescheinigung des Finanzamts oder der zuständigen Behörde nachzuweisen. Die Umsatzeinbussen können im Wege einer verantwortlichen Erklärung durch den Mieter versichert werden. Der Vermieter kann zur Prüfung Einsicht in die Buchhaltung nehmen.

Wie sollen die Mieter unterstützt werden?

Die Mieter können beim Vermieter eine Stundung mit Ratenzahlung beantragen, wobei zwischen zwischen ‘grossen’ bzw. öffentlichen Vermietern und ‘kleinen‘ Vermietern unterschieden wird.

Als ‘grosser’ Vermieter sind natürliche oder juristische Personen zu verstehen, die Inhaber von mehr als zehn städtischen Immobilien (ausgenommen Garagen und Abstellräume) oder einer bebauten Oberfläche von mehr als 1.500 m2 sind. In diesem Fall gilt die Stundung automatisch für die Dauer des Alarmzustands sowie Monat für Monat für die darauf folgenden Monatszahlungen, falls dies nicht ausreichend sein sollte. Die erweiterte Stundung darf den Zeitraum von vier (4) Monaten nicht überschreiten. Die gestundeten Mietzahlungen sind in Ratenzahlungen zinsfrei über einen Zeitraum von zwei (2) Jahren, gerechnet ab der Beendigung des Alarmzustands bzw. der erweiterten Stundung, aber jedenfalls über die Laufzeit des Mietvertrages an den Vermieter zu zahlen.

Bei ‘kleinen’ Vermietern, also solchen, die nicht die vorgenannten Kriterien erfüllen, kann der Mieter eine vorübergehende und ausserordentlichen Stundung beantragen. Die genaue Dauer ist nicht festgelegt.

Bis wann ist die Stundung zu beantragen?

Die Stundung ist innerhalb eines Monats ab Inkrafttreten der Notstandsverordnung zu beantragen; also bis zum 23. Mai 2020.

Was ist, wenn die Parteien eine Vereinbarung treffen?

Der Zahlungsaufschub gilt nur ergänzend, also mangels einer Vereinbarung der Parteien. Diese geht grundsätzlich vor.

Corona Virus: Massnahmen zur GewerbemieteWas ist mit der Kaution?

Zudem wurde bestimmt, dass die Parteien im Rahmen einer Vereinbarung die Mietkaution ganz oder teilweise zur Zahlung einer oder mehrerer Mieten einsetzen können. In diesem Fall ist der Mieter verpflichtet ist, die Kaution innerhalb eines Jahres ab dem Abschluss der Vereinbarung oder über die Restlaufzeit des Vertrages, falls diese kürzer ist, wieder einzuzahlen.

Warum werden die Massnahmen zur Gewerbemiete kritisiert?

Die Massnahmen sind verfassungsrechtlich bedenklich. Sie greifen in die Privatautonomie und das Eigentumsrecht ein. Zudem erscheint mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz die Differenzierung nach ‘grossen’ und ‘kleinen’ Vermietern willkürlich, da ein sachlicher Grund hierfür nicht ersichtlich ist.

Die Massnahmen kommen zudem spät und greifen zu kurz. Die ‘Massnahmen zur Reduzierung der Kosten von KMUs und Selbständige’ reduzieren tatsächlich keine Kosten, sondern stunden sie nur. Eine Mietminderung, Aussetzung oder gar Beendigung des Mietverhältnisses ist nicht vorgesehen.

Und nicht zuletzt grenzen die Massnahmen viele Mieter von ihrem Anwendungsbereich aus. Gänzlich unbegreiflich ist die Differenzierung der Stundung nach der ‘Grösse’ des Vermieters, die wahrscheinlich vielen Mietern nur die Möglichkeit lässt, den Einsatz der Kaution zur Mietzahlung zu verhandeln, also praktisch sich selbst zu finanzieren.

Corona Virus: Massnahmen zur GewerbemieteWie wirken sich diese Massnahmen  aus?

Einer der problematischsten Punkte der Massnahmen ist deren Auswirkung auf andere Rechtsfiguren. Ausweislich der Gesetzesbegründung sieht der Gesetzgeber die Massnahmen als eine Ausgestaltung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes “rebus sic stantibus”. Dieser Grundsatz, der aus dem römischen Recht stammt, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, aber in der Rechtssprechung anerkannt und wohnt jedem Vertrag inne.

Grundsätzlich gilt, dass Verträge erfüllt werden müssen. Der genannte Grundsatz erlaubt jedoch, einen Vertrag ausnahmsweise anzupassen, wenn sich entscheidende Umstände ändern, die die Geschäftsgrundlage bilden. In der deutschen Terminologie sind diese Fälle daher auch als Störung der Geschäftsgrundlage bekannt. Voraussetzung für die Anwendung ist eine aussergewöhnliche Änderung der Umstände nach Vertragsschluss; ein exorbitantes Missverhältnis zwischen den Leistungen der Vertragsparteien; und all dies infolge von Umständen, die bei Vertragsschluss völlig unvorhersehbar und unvermeidbar waren, nicht geregelt wurden und keiner der Parteien zuzurechnen sind.

Über die Zeit schwächte der spanische Oberste Gerichtshof die restriktive Auslegung dieses Grundsatzes ab und erkannte dessen Anwendung auch im Fall einer schweren wirtschaftlichen Krise und bei Gewerbemietverträgen an.

Bei der Anwendung entscheidet die Rechtsprechung im Einzelfall. Hierbei steht stets im Vordergrund, das vertragliche Gleichgewicht wiederherzustellen (z.B. im Wege einer Mietminderung). Eine Vertragsbeendigung kommt  in Ausnahmefällen in Betracht. Die verabschiedeten Massnahmen regeln hierzu dagegen nichts, sondern beschränken sich  auf eine Stundung der Mietzahlungen.

Es stellt sich deshalb zwangsläufig die Frage, ob die Mieter, die sich gestern noch auf die Klausel “rebus sic stantibus” berufen konnten, dies nach der Verabschiedung der Massnahmen immer noch können. Die Antwort hierauf wird heiss diskutiert. Aus der Sicht des Verfassers spricht einiges dafür, dass dies möglich ist. Nur eines ist klar: Nach der Notstandsverordnung sehen sich viele Mieter plötzlich in einer deutlich schwierigeren Lage, als dies noch vor deren Verabschiedung der Fall war. Eine absurde Situation.

Noch absurder wird es allerdings, wenn man sich vergegenwärtigt, wen diese Situation begünstigt. Mussten die Vermieter gestern noch mit zahlreichen Mietminderungen oder Karenzzeiten rechnen, klammert die Norm heute die meisten Mieter von deren Anwendungsbereich aus. Die Wenigen, die sich auf sie berufen können, werden auf einen Zahlungsaufschub oder den Einsatz der Kaution vertröstet. Auf diesem Hintergrund muss man sich ernsthaft fragen, für wen die Massnahmen tatsächlich verabschiedet wurden.

© 2020 Andreas Fuss Advocat & Rechtsanwalt

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Ergänzende Links:

Königliches Gesetzes-Dekret 15/2020 vom 21. April zu dringenden ergänzenden Massnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft und Beschäftigung


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