Die EU-Erbrechtsverordnung wird auf alle Erbfälle Anwendung finden, die sich ab dem 17. August 2015 ereignen. Danach wird sich das auf die Erfolge anwendbare Recht innerhalb der EU-Mitgliedstaaten einheitlich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers richten. Diese Neuerung rückt daher die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts und seiner Ausnahmen in den Blickpunkt.
Die Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts kann komplex sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der Erblasser aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen in einen anderen Staat begeben hat, um dort zu arbeiten, aber seine Verbindung zum Herkunftsstaat aufrechterhalten, oder abwechselnd in mehreren Staaten gelebt hat oder von Staat zu Staat gereist ist.
Daneben bestimmt Art. 21 des EU-Erbrechtsverordnung, dass ausnahmsweise an das Recht eines anderes Staates als dem Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes angeknüpft werden kann, sofern sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Erblasser zu diesem Staat im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung hatte.
Die damit verbundenen Fragestellungen lassen sich am besten an einem Beispiel verdeutlichen:
M ist deutscher Staatsangehöriger und arbeitet für ein britisches Unternehmen, für das er an vielen Orten der Welt tätig war. Die letzten drei Jahre war in der Europazentrale des Unternehmens in London beschäftigt. Nun steht der Wechsel nach Madrid an. Seine Ehefrau, mit der er im deutschen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet ist, möchte allerdings ihre beiden Kinder in Deutschland grossziehen, wo beide langfristig leben möchten. M und F beschliessen daher, dass der gemeinsame Familienwohnsitz Stuttgart sein soll. M wird so oft es geht pendeln. Wie lange M in Madrid tätig sein wird ist ungewiss. In drei Jahren steht wahrscheinlich der nächste Wechsel an. Sein Vermögen hat M grösstenteils noch in England. M verstirbt ein Jahr nach seinem Umzug nach Madrid im September 2015 bei einem Autounfall in Frankreich auf dem Weg zu seiner Familie. Ein Testament hat er nicht hinterlassen.
Eins vorweg: Der Fall ist nicht eindeutig. Die EU-Erbrechtsverordnung verzichtet bewusst auf eine Definition des Begriffs des ‘gewöhnlichen Aufenthaltes’. Sofern man auf den ‘Daseinsmittelpunkt’ als Schwerpunkt der familiären, sozialen und beruflichen Beziehungen abstellt, spricht einiges für einen gewöhnlichen Aufenthalt in Madrid. Dort war M beruflich tätig, hielt er sich die meiste Zeit auf und ist er sozial verankert. In diesem Fall wäre spanisches Recht auf seine Erbfolge anwendbar.
Das Nachlassgericht kann bei der Beurteilung des anwendbaren Rechts allerdings ausnahmsweise aufgrund der Gesamtheit der Umstände auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Im Ausgangsfall war M erst vor kurzem nach Madrid gezogen, ein Wechsel in der Zukunft absehbar und seine familiären Bindungen zu Deutschland besonders eng. Dies spricht für die Anwendung deutschen Rechts. Alleine der Umstand, dass er sein Vermögen noch in England hatte, wo sich auch sein vorheriger Wohnsitz befand, dürfte zu keiner anderen Beurteilung führen. Laut Begründung der EU-Erbrechtsverordnung soll die offensichtlich engste Verbindung aber nicht als Notlösung herhalten, wenn sich die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts als besonders schwierig erweist, sondern eben eine Ausnahme sein.
Die entscheidende Frage im Ausgangsfall ist daher, ob die sozialen und familiären Bindungen nach Deutschland ausreichen, um einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und damit die Anwendbarkeit deutschen Rechts zu begründen. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage ist mangels gerichtlicher Entscheidungen – jedenfalls heute – nicht möglich.
Was bedeutet dies für die Erbfolge? Zunächst kann festgehalten werden, dass möglicherweise spanisches Recht auf die Erbfolge des M Anwendung findet. In diesem Fall würden die beiden Kinder von M dessen gesamtes Vermögen erben; seine Ehefrau würde nichts erben und lediglich den Niessbrauch an 1/3 des Nachlasses erhalten. Käme dagegen deutsches Erbrecht zur Anwendung würde die Ehefrau die Hälfte des Nachlasses von M erben und dessen beiden Kinder sich die andere Hälfte teilen. Je nach der Antwort auf die Frage, wo sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers befand, kann damit das Ergebnis sehr unterschiedlich ausfallen, was unter Umständen so vom Erblasser nicht gewünscht war.
Was soll man also tun, um solche Unsicherheiten zu vermeiden? Die Antwort darauf ist: Reagieren. Die Nachfolgeregelung sollte stets sorgfältig geplant und testamentarisch geregelt werden. Dies gilt bereits bei reinen Inlandsfällen und um so mehr bei Sachverhalten mit Auslandsbezug. Alle Personen mit Wohnsitz im Ausland oder bei Sachverhalten mit Auslandsbezug (Mallorca-Rentner, Grenzgänger, Diplomaten, Studenten und alle Personen, die sich aus persönlichen, beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen zeitweise oder längerfristig im Ausland aufhalten) sollten daher ihre Situation überprüfen und bei Bedarf durch Verfügung von Todes wegen eine Rechtswahl und Regelung für ihre Rechtsnachfolge von Todes wegen treffen.
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